Der Bierkeller und die Brauerei Schneider
An der heutigen Friedrich-Münch-Straße (auf der linken Seite) besaß die Brauerei Schneider bereits 1903 einen Eiskeller zum Kühlen des Bieres, kurze Zeit später wurden zwei weitere Keller gegraben.

Das erste Bier wurde in Lienzingen wohl um das Jahr 1850 von Johannes Gutjahr gebraut. Allerdings scheint das Geschäft nicht so recht floriert zu haben. Dokumentiert ist eigentlich nur sein Ende. Am 17. Mai 1852 wurde nämlich im “Bürgerfreund” die Versteigerung seiner Brauerei angekündigt und in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass er vor 2 Jahren ein, an der Landstraße gut gelegenes Haus mit Scheuer erkauft, und in demselben eine Bierbrauerei eingerichtet habe. Ob die Brauerei daraufhin weiterbetrieben wurde, ist unklar. Und unklar ist ebenso, ob es auch dieses Gebäude war, in dem später Johann Schneider tätig wurde.
Die Familie Schneider hat in Lienzingen viele Spuren hinterlassen, die heute noch sichtbar sind – um nur einige zu nennen: Bierhaus, Bierkeller, Eichert und ein Straßenname. Bereits 1511 taucht der Name Schneider im Lagerbuch Lienzingen des Klosters Maulbronn auf.
Imanuel (Emanuel) Schneider (1789 -1868) war der erste der Brauerei-Familie Schneider, der sich im Dorf nachweisen lässt, so im Jahr 1856 mit dem Kauf eines Hauses für 2.000 Gulden von der Lindauer’schen Pflege. Bekannter war sein Sohn Johann Martin Schneider (1829 -1903) als Gründer der Lienzinger Brauerei. 1869 erwarb er von der Gemeinde für 110 Gulden 0,5 Morgen Weide unter dem Eichert, der bei den Schneiders „Tuchberg” hieß, weil hier die Wäsche der ganzen Familie gebleicht wurde.

Wann genau Schneider seine Brauerei gründete, ist nicht mehr zu ermitteln. Friedrich Wißmann spricht nur vage vom „19. Jahrhundert“. Eine zwischen 1901 und 1909 geführte Liste über Fabriken und gewerbliche Anlagen gibt zwar das Jahr 1884 an, aber im Familienregister wird Johann Schneider bereits bei seiner Heirat 1857 als Bierbrauer bezeichnet und am 16. Oktober 1873 hatte der Lienzinger Gemeinderat ein spezielles Problem zu behandeln. Schneider leitete sein Abwasser zu jeder Zeit in den öffentlichen Straßenkandel. Im Winter gefror es darin regelmäßig. Andere Abwässer konnten deshalb nicht abfließen, flossen über die OrtsEtterstraße und gefroren dort ebenfalls, was den Wandel darauf gefährlich macht. Die nahe liegende Schlussfolgerung war eine polizeiliche Verfügung, daß dem Bierbrauer Johann Schneider die Benützung des Straßenkandels zum Abfluß des Abwassers aus seiner Brauerei zu Frostzeiten nicht zu gestatten ist.
Schon am 21. Oktober beschwerte sich Schneider über diese Auflage beim zuständigen Oberamt. Nach längerer Untersuchung des Falles wurde der Gemeinde aber am 22. April 1874 Recht gegeben. Schneider gab jedoch nicht auf. Er wandte sich an die nächsthöhere Instanz, die württembergische Regierung des Neckar-Kreises in Ludwigsburg, also etwa das heutige Regierungspräsidium. Aber auch dort fand er kein Gehör. Am 22. September 1874 wurden die Verfügungen aus Lienzingen und Maulbronn bestätigt.
Brauerei ging nicht unter: 1883 wurde der Bierkeller mit Eissee in der Friedrich-Münch-Straße gebaut
Schneiders Brauerei ging deshalb nicht unter. Er konnte seinen Betrieb sogar noch erweitern. 1881/82 baute er das Brauhaus mit Gaststätte, Biergarten und Wohnung in der Knittlinger Straße und 1883 den Bierkeller mit Eissee in der Friedrich-Münch-Straße. Gegenüber wurden zwei Scheunen errichtet. Hier wurde das “Lienzinger Bräu” in Fässer abgefüllt und die Bierfässer gerichtet. Der Eissee, heutiger Sportplatz, lieferte im Winter das Eis, um das Bier im Bierkeller für das ganze Jahr kühl zu lagern. Die Gaststätten des Dorfs konnten von der Brauerei Eis für ihren Bedarf erwerben.
Auch den Hopfen zum Bierbrauen erzeugte die Familie Schneider auf eigenen Grundstücken beim Katzenwald selbst. Heute noch kann man dort Hopfenpflanzen finden. Da die Familie immer größer wurde, musste bereits im Jahr 1884 das Wohnhaus um einen Stock erweitert werden. 1885 baute Johann Schneider eine Dampfkesselanlage in der Brauerei ein. Seine Tochter Emilie bewirtschaftete die Brauereigaststätte. Sie beschäftigte bis zu ihrem Tod 1951 zahlreiche Dienstmädchen aus dem Ort.
1891 nahm er einen Müllereibetrieb hinzu und 1904 einen “Benzinmotorbetrieb” mit drei Beschäftigten – auch wenn nicht ganz klar ist, worum es sich dabei handelte. Schneider war der größte Arbeitgeber im Ort. Haushalt, Brauerei und Gaststätte benötigten viele Arbeitskräfte.
Nach dem Tod von Johann Schneider am 15. Juni 1903 übernahm sein ältester Sohn Kar! Immanuel die Brauerei, die nach einer Notiz im “Bürgerfreund” vom 30. August 1913 an die Kronenbrauerei Ludwigsburg verkauft wurde. Wahrscheinlich wurde der Betrieb unter dem alten Namen weitergeführt, denn 1920 wurde noch eine neue Dampfkesselanlage eingebaut. Immanuel Schneider verstarb am 27. Juli 1920. Vermutlich wurde bald darauf die Brauerei ganz geschlossen. Johanns jüngster Sohn Dr. Otto Schneider war jedenfalls nie in der Brauerei tätig und verkaufte im Jahre 1953 seinen gesamten Besitz – die ehemalige Brauerei mit zwei Wohn- und Ökonomiegebäuden, circa zwei Hektar Land und 4,5 Hektar landwirtschaftliche Grundstücke – an die Gemeinde Lienzingen.
Quelle: “Lienzingen – Altes Haufendorf, moderne Gemeinde”, herausgegeben v. Stadtarchiv Mühlacker (Bilder: Sammlung Otto Schneider)